Mein dritter Roman
Mein dritter Roman
Lunarda
Vorgeschichte: Jedes Buch hat seine ganz eigene Geschichte. Das gilt natürlich auch hier. “Lunarda” ist aber ein Buch, dessen Geschichte so ungewöhnlich ist, dass ich sie erzählen will. Schon seit längerem bin ich mit Herbert Rosendorfer befreundet. Er ist als Autor (nicht nur) humoristischer Bücher bekannt und hat für sein umfangreiches Werk zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Was weniger bekannt ist: Herbert ist auch ein leidenschaftlicher Maler mit sehr spitzer Feder. Diese beweist er etwa in unserem Lyrikband “Schlarapfelland”, zu dem er provokante Tuschzeichnungen beigetragen hat. Schon länger versuchte Herbert mich zu überreden, für ihn Modell zu stehen, doch ich konnte mich letztlich nicht dazu überwinden. Im Laufe der Zeit wurde dies zu einer Art “running gag”, und einmal meinte Herbert im Scherz zu mir, ich solle doch den Monolog einer Frau schreiben, die einem Maler Modell steht. Diese Idee gefiel ihm dann so gut, dass er wenig später noch einmal darauf zurückkam und vorschlug, wir könnten ja gemeinsam eine Geschichte schreiben: ich aus der Perspektive der Frau, er aus jener des Malers. Nach anfänglicher Skepsis machte ich mich ans Werk. Herbert gab mir viele hilfreiche Informationen über die Arbeit eines Malers, erzählte mir von seinen Erlebnissen mit Modellen, die ich in meinen Text einfließen ließ. Ich habe Herbert immer wieder den aktuellen Stand meiner Arbeit zugemailt, wir haben dann oft lange telefoniert, und ein weiterer Teil entstand.
Die Zusammenarbeit mit anderen Kreativen ist mir von Film und Theater her vertraut, denn auch dort setzt sich der (Drehbuch- oder Theater-)Autor mit den Ideen anderer auseinander. Bei einem Roman - der es letztlich geworden ist - war mir diese Arbeitsweise allerdings neu. Spannend war auch, wie sich Herberts Text (aus der Perspektive des Malers) in den übrigen Text einfügen würde. Wir überlegten eine Weile, wie wir es anstellen konnten, dass der Textfluss im von mir verfassten “Paula-Teil” nicht unterbrochen wurde, und hatten schließlich die Idee, dass der Maler sein Vermächtnis festhalten sollte, das als eigener Teil eingefügt werden konnte. Mir blieb dann noch, das ganze mit einem kurzen Schluss abzurunden. Herausgekommen ist ein ungewöhnliches Buch, ein weiteres Freundschaftsprojekt zweier Schelme, die beim Schreiben oft zu Schabernack aufgelegt sind...
Klappentext: Auf den ersten Blick ist Paula eine ganz normale junge Frau: Sie ist schnippisch und schreibt Tagebuch; von moderner Kunst hält sie wenig. In ihren Augen fehlt diesen Bildern nicht nur der Titel, sondern auch sonst so ziemlich alles, was sie sich von einem Kunstwerk erwartet. Bis sie eines Tages als Model einem um einiges älteren Maler begegnet, der ihr Leben grundlegend verändert. Schon der Geruch seines Ateliers ist anheimelnd, die Ruhe, die er ausstrahlt, beruhigend. Und was sie sich lange nicht eingestehen wollte, wird plötzlich offensichtlich: Er beginnt ihr zu fehlen. In einem Wechselbad der Gefühle findet sie kurzzeitig zu Freiheit und Glück. Selma Mahlknechts gemeinsam mit Herbert Rosendorfer unterhaltsam geschriebener Roman ist voller origineller Szenen und spannender Wendungen.
Auszug aus dem Text:
Paula hat Martin, einen Studenten bei Damakus (=der Maler), kennengelernt. Er war frech zu ihr und hat sich abfällig über Damaskus geäußert. Paula sinnt auf Rache.
Ich saß also wieder in der Straßenbahn und sinnierte. Ich fühlte mich ausgetrickst, ohne recht sagen zu können, woran das lag. Hatte mich dieser Martin durchschaut? Sofort wies ich den Gedanken von mir. Der doch nicht! Niemals! Und dann noch dieses selbstgefällige Grinsen. Schnösel, eingebildeter! Wie kam der überhaupt dazu, zu behaupten, Damaskus nehme sich zu wichtig? Damaskus war immerhin jemand, ein berühmter Maler, eine Koryphäe, ein Meister seines Fachs. Er hatte etwas geschafft. Was hatte dagegen dieser Martin vorzuweisen, außer einem frechen Mundwerk und einer pathologischen Verachtung für Raucher? Freilich, seine offene Art hatte auch etwas Entwaffnendes. Durch sie konnte man sich das seichte Geplänkel der sogenannten guten Manieren schenken und gleich sagen, was man denkt. Ich hatte ihm jedenfalls nichts vorenthalten, und mein empörter Abgang erfüllte mich mit einem gewissen Stolz. Dem hab ich’s aber gezeigt. Doch noch während ich zufrieden vor mich hinnickte, kam mir eine andere, dunklere und unangenehmere Frage in den Sinn: Was er wohl jetzt für ein Bild von mir hat? Natürlich könnte es mir völlig gleichgültig sein, was dieser Flegel von mir denkt. Ist es aber nicht. Nicht nur, dass ich während unseres Gesprächs ständig zu erkennen versuchte, ob er mich hübsch fand, ich wollte auch wissen, ob er mich wirklich nur auf den Arm nahm oder ob das seine unbeholfene Art war, mit mir zu flirten. Aus irgendeinem Grund wollte ich nämlich glauben, dass das der wahre Grund war, warum er mir gefolgt war und mich eingeladen hatte. Sonst wäre ich doch, Nichtraucher-Raum hin oder her, niemals mit ihm in dieses Café gegangen. Ich war neugierig auf ihn, neugierig auf das, was er mir über mich sagen würde. Oder nicht einmal: sagen. Nur seine Blicke, mit denen er mich, mein Gesicht, meinen Körper, maß, hatte ich sehen wollen. Gefiel ihm meine Bluse? War die erhobene Augenbraue ein Zeichen unterdrückter Erregung? Die geheimnisvolle Fremde, die Frau mit der undurchdringlichen Aura, die Muse, das waren die Rollen, die ich hatte spielen wollen, sie fehlten mir seit D.s Verschwinden. In Martin hatte ich geglaubt, Publikum zu finden. Aber ich hatte es vermasselt. Ich war auf ihn hereingefallen. Seine plumpen Provokationen hatten mich aus der Bahn, schlimmer, aus meiner Rolle geworfen. Ich hatte mich verhalten wie ein Waschweib, war laut und rüpelhaft geworden. Nein, so benimmt sich keine Dame.
Ich musste an Birgit denken. Vielleicht hatte sie ja recht, dass der Preis, den man für das Damendasein zahlen muss, zu hoch ist. Es war aber auch zu ärgerlich, dass dieser Kerl sich mir gegenüber so unverschämt gebärdet hatte. Er war das genaue Gegenteil eines Gentlemans: nahm sich kein Blatt vor den Mund, sagte, was er dachte, und pfiff auf Konventionen und politische Korrektheit. Wahrscheinlich war das auch das Künstlerische an ihm. Ich überlegte, wie seine Werke wohl aussahen. Wahrscheinlich war er ein sogenannter Aktionskünstler und lud zu prätentiösen Happenings. Dann ließ er vor versammeltem Fachpublikum die Hosen herunter und pinkelte das Wort „Scheiße“ an die Wand. Applaus, Applaus. Was für ein mutiger Aufschrei gegen das Establishment. Endlich einer, der nichts auf Können, Kunst und Konzept gibt, sondern frisch und fröhlich drauflospfuscht. Als ob es von solchen Scharlatanen nicht schon genug gäbe. Ich müsste, dachte ich düster vor mich hin, ich müsste es ihm heimzahlen. Ich müsste etwas über ihn herausfinden und ihn dann vernichten. Vielleicht läuft ja gerade eine Ausstellung von ihm in einer dieser jämmerlichen Galerien. Ich könnte hingehen und mir seine Hundstrümmerl-Installation „Kakaniens Hinterlassenschaften“ ansehen. Und dann verfasse ich eine Rezension, ach was, einen vernichtenden Verriss für eine Insider-Zeitschrift. So etwas muss es doch geben. Wahrscheinlich hat sie einen anspruchsvollen Titel, „DADAsein“ oder „Krampfader“ zum Beispiel.
„Du, hast du schon gesehen, in der neuen ‚Krampfader’ wird der Fellner zerfetzt.“
„Ist nicht wahr!“
„Doch. Gnadenlos.“
„Das bedeutet das Ende seiner Karriere.“
„Schlimmer. Ich habe gehört, er ist wieder zu seinen Eltern gezogen und hat sein altes Kinderzimmer seit Tage nicht mehr verlassen. Spaziergänger, die an dem Haus vorbeigekommen sind, wollen schauerliche Schreie gehört haben.“
„Schrecklich.“
„Tja, mit Paula May darf man sich eben nicht anlegen. Immerhin ist sie die mächtigste Kunstrezensentin des Landes.“
Roman zu zweit