rosa leben
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rosa leben
„rosa leben“ versammelt vier verschiedene Erzählungen, darunter die Namengebende, die auch in der „Landvermessung“ des Residenz-Verlags aufscheint, jenem Versuch, relevante österreichische Autoren in einer Sammlung zu vereinen.
aus: „rosa leben“, in dem eine junge Frau von ihrem Ausbruch aus dem Elternhaus und ihrem Leben auf der Straße erzählt:
Ich war 15, als ich fortging, jetzt war ich 20 oder nicht einmal das und stand im Flur vor der Tür. Noch aber klopfte ich nicht, noch atmete ich schwer von den Stufen und vom Schauder, den mir das Vertraute an ihnen einjagte. Ich stand im Flur vor der Tür und lauschte und klopfte noch nicht. Wie dumpf der Klang meiner Schritte geworden war. Noch hörte ich meine ledernen Sohlen auf dem Stein klatschen, wie ich wild die Treppe hinuntergetobt war, zwei Stufen, drei, überspringend, wie dumpf war mein Schritt jetzt, fast ein Schleichen auf Filz. Ich klopfte noch nicht und dachte an Mutter, wie sie mit ihrem stierenden Blick irgendwo dort hinter der Tür saß, ich dachte, daß sie aufstehen würde und mit diesem Blick in mein Gesicht schauen würde, das zu ihrem geworden war. Sie würde mich ansehen und schon alles wissen, über die Typen, die Fürsorge, den Koks, alles würde sie wissen, dann würde sie die Tür wieder zuschlagen und sich vor die Glotze hocken, den Blick stier und tot wie zuvor.
Ich stand im Flur vor der Tür, stand lange und atmete Gerüche von damals. Als im obersten Stockwerk ein Schlüssel im Schloß rasselte, ging ich die Treppe hinunter, ohne Eile, auf Filz, doch die letzten drei Stufen übersprang ich und landete polternd, dann fiel das Tor hinter mir zu, und ich betrat das Haus niemals mehr.
aus: „Bodemanns Tag“, wo ein Vertreter für Putzmittel von Haus zu Haus geht und die Liebe findet:
Am Türschild stand „Ringel“, und Ernst läutete.
Als die Tür aufging, sah sich Ernst Bodemann einer etwas kleinwüchsigen Frau gegenüber, die unter einem wolligen Lockenkopf zu ihm aufschaute. Sie mochte einmal blond gewesen sein und diese ihre Naturfarbe in aufwendiger Selbstbehandlung zu erhalten getrachtet haben, jetzt jedenfalls kräuselte sich ihr hochfahrendes Haar in verblaßten graubraunen Windungen, unter denen es hie und da wohl wieder golden hervorleuchtete, was ihr einen Kopf wie einen sterbenden Laubwald gab, und so passte sie recht zum sich einfärbenden Herbst ringsum.
Ernst Bodemann ließ sich von ihrem Anblick nicht beeinträchtigen. Eiligst zog er den Hut, den er einzig zu diesem Zwecke aufgesetzt hatte, und stellte sich Frau Ringel vor. Sie schaute ihn schräg an und legte die Hände an ihre bespeckten Hüften. Aber sie ließ Ernst ein, und siegesgewiß begann dieser, seine Ware auszupacken. Frau Ringel kniff das eine Auge zusammen, während sie Ernst zusah, wie dieser ihr Küchenfenster von den beiden kleinen Blumentöpfen freistellte und dann mit seiner Demonstration begann. Er putzte das Fenster gründlich, obgleich es ohnehin sauber gewesen war, und er versicherte Frau Ringel glaubhaft, daß es jetzt doch „kein Vergleich“ zu vorher sei, wohl wissend, auf welch dünnem Eis er sich mit dieser Behauptung bewegte. Frau Ringel jedoch war geneigt, ihm zu glauben. Sie gehörte zu jenem Schlag Frau, der überall Staub und Verschmutzung wahrnimmt, weswegen sie auch nahezu ununterbrochen irgendwelchem Phantomdreck hinterherputzte, ohne jemals wirklich zu Rande zu kommen. Ernst kannte diesen Schlag Frau genau und freute sich bereits, nicht nur Glasoglanz, sondern möglicherweise die gesamte Kollektion bei Frau Ringel unterbringen zu können. Daher griff er beschwingt nach seinem nächsten Reinigungsmittel, schraubte es auf und hielt es Frau Ringel unter die Nase. „Der neue Duft der Sauberkeit“, erklärte er, und Frau Ringel schnupperte. Aha, aha. Mehr äußerte sie nicht und sah dann Ernst zu, wie er sich über den Herd hermachte. „Ein Kinderspiel“, verkündete Ernst, „mit wenig Aufwand höchste Sauberkeit“. Dann verstummte er und begann, tief über die Platte gebeugt den Herd zu schrubben, während sich Frau Ringel nahe an ihn schmiegte und jeder seiner Bewegungen mit starrem Blick folgte.
aus: „Die Verstimmung“, wo ein Radiosprecher sein Gewissen entdeckt:
Ich hatte einmal Schauspieler werden wollen, aber wie bei vielen anderen auch endete mein Weg irgendwo im Sumpf der Gelegenheitsjobs. Nur selten hatte ich länger als drei Monate dieselbe Einnahmequelle, meine Einkünfte kamen unregelmäßig und kärglich. Für einen Mann mit Frau und Kindern nicht unbedingt ideal. Natürlich, Klara konnte für sich selbst sorgen, aber es wurmte mich, daß sie fast im Alleingang den gesamten Haushalt bestreiten musste. Es war an der Zeit, daß ich endlich auch meinen Beitrag leistete, und schon deswegen durfte ich mir die Chance bei Antenne Quer nicht mit hochgesteckten künstlerischen Einwänden vermasseln. Was verstand ich schon groß? Letztlich kam es auf die Hörer an: Wenn denen gefiel, was ich ihnen servierte, dann musste es mir genügen. Immerhin bekam ich ja Schmerzensgeld.
aus: „Monolog im Frauenabteil“, wo eine unbequeme alte Dame ihr Leben Revue passieren lässt:
Bitte nicht. Die will doch bitte nicht da bleiben, da in diesem Abteil. Bitte nicht. Kann die Blonde nicht sagen, daß hier schon wer sitzt? Könnte sie doch sagen, sie hat ja Gepäck für zwei. Aber natürlich sagt sie nichts. Die freut sich am Ende auch noch, natürlich freut sie sich, wenigstens tut sie so, das wird ja auch erwartet. Ich sollte mich dann wahrscheinlich auch freuen. Bitte nicht.
Ich tu am besten einfach so, als ob ich schlafen würde. Beeindruckt die aber überhaupt nicht, typisch, die jungen Leute schreckt überhaupt nichts mehr ab, und ältere schlafende Damen schon gar nicht. Da setzen sie sich drüber weg. Und belegen mit ihrem Balg einfach das Abteil. So einfach geht das heute. Schmeißt ihre Tasche einfach neben meinen Sitz, dabei riecht es aus der so komisch herauf, ich habe diesen Babynahrungsgeruch nie aushalten können. Dabei ist das gar kein Baby mehr. Das kann ja schon gehen.
Da gibt es doch sicher irgendwo so ein Spielabteil. Die soll dahin gehen. Ins Spielabteil zu den anderen Müttern, da kann sie dann Erfahrungen austauschen, das tun die doch gern. Die haben da sicher eine Rutschbahn im Spielabteil. Und bunte Plastikkugeln. Da könnte Mausilein dann toben und anderen Mausileins die Haare ausreißen. Und unsereins wäre wieder in Sicherheit.
Warum bleibt sie denn da? Merkt sie nicht, daß ihr Anhang mich betatscht? Grapscht einfach an meinen Strümpfen herum. Und ich darf mich nicht einmal bewegen. Vielleicht sollte ich jetzt doch so tun, als ob ich aufwachen würde. Aber dann muß ich mich ja freuen. Das wird ja erwartet. Omagefühle oder was. Ich kann nur aufwachen und mich darüber freuen, daß dieser Gnom mich betatscht. Ich darf ja nichts sagen, sonst muß ich gleich Abteil wechseln. Die unwürdige Alte, würde es dann heißen. Mag keine Kinder. Ist ja krank.
prosa, Edition Raetia, 2004