Ausgebrochen
Ausgebrochen
Ausgebrochen
In meinem ersten Buch sind zwei Erzählungen gesammelt, „ausgekotzt“ und „Brand“. Erstere erhielt beim Südtiroler Sparkassenwettbewerb den zweiten Preis in der Kategorie Prosa, für „Brand“ wurde mir 2002 beim Algunder Literaturwettbewerb „Wasserworte“ der ersten Preis zuerkannt.
Aus: „ausgekotzt“, in dem ein Mann die perfekte Frau sucht:
Ich begann mich mit mir selbst zu langweilen. Keine Überraschungen mehr. In manch verzweifelten Stunden verwarf ich sogar Eleonore und wollte mich mit einem kleinen zweisilbigen Abenteuer abspeisen, wäre es mir nicht schon längst abgeschmackt erschienen, immer anderen Frauen immer gleiche Komplimente zu machen. Daher also befand ich mich im Zwiespalt zwischen Eleonore der Schaumgeborenen, irgendwelchen Mausis und Spatzis, die schon zuhauf meine Bahn säumten, und letztlich dem käuflichen Trost – wenn ich von der Möglichkeit eines zölibatären Daseins einmal absehen wollte (und ich wollte!). Letzteres – meine Unfähigkeit zur Enthaltsamkeit – hieß mich denn auch nach kurzem mein geduldiges Harren auf Eleonore ausschließen, denn was anderes als Enthaltsamkeit hatte es mir zu bieten? Und da einen Mann zuweilen das Fieber packt, ein Held zu sein, sah ich unausweichlich ein sogenanntes dubioses Abenteuer auf mich zustürzen, und ich beschloß, keinen Widerstand zu leisten.
Aus: „Brand“, wo Jugendliche einen Albtraum erleben:
Irgendwann legte dann Berna eine andere CD auf, und in der Stille sagte Pot dann etwas von morgen, und daß wir nach Pilzen schauen könnten, nach dem Regen oder irgendwas, ich hörte nicht so genau zu, aber ich dachte doch, daß es schon völlig verblödet gewesen war, auf diese Hütte zu gehen, weggenebelt von der Welt, eingekerkert in diesen Mauern von Regen, Regen, Regen, es wird nie mehr aufhören, dann schwimmt das eine Auto davon, zuerst das eine, wie ein Nilpferd muß es dann aussehen, den runden Kopf knapp über dem Wasser mit der langen Schnauze, dann reißt es die Hütte weg und wir schippern so langsam dahin, und immer das Trommeln über unseren Köpfen, zuerst leicht und rauschend und dann wieder hämmernd und drohend, wie ein Rütteln an den Grundfesten der Welt, die langsam zu und zu geschüttet wird, bis die Wellen steigen und steigen und das Brüllen schwächer wird, und die Wogen greifen nach dem Himmel, und dann ist nur noch ein See, unabsehbar und schwarz, ein gewaltiger See, in den der Regen fällt, ohne Kraft und lautlos und sanft, ein riesiges Wasser ohne Aufruhr und Zorn.
Dann weckte mich etwas aus meiner Stille, und zuerst wußte ich nicht einmal, was. Ich sah auf den Boden, der in gelben Lohen waberte, und verstand nichts, den Schädel aufgedunsen und schwer, wie ich ihn fühlte. Dann sah ich Vickie, jede ihrer Bewegungen wie in Zeitlupe, und rund um sie bleckte es orange und viel zu hell für meine besoffenen Augen, Vickie drehte sich in Zeitlupe um sich selbst, als tanze sie noch, aber ihre Haare, ihre Haare!, und ihr Mund stand weit offen und öffnete sich noch mehr und mehr, nie hatte ich ihren Mund so weit offen gesehen, und erst da begriff ich, daß sie schrie, sie schrie, und ihr rosa Top sengte sich in ihr Fleisch, und ihre Haare, ihre Haare!, ihre Haare brannten. Ich sprang auf, ohne Atem, und ich spürte, wie meine eigenen Haare zischten, nichts weiter, sie zischten, und ich rannte Vickie nach. Ich sah keinen der anderen, nur Vickie, und ich hörte nichts, nichts, sah nur Vickies aufgerissenen Mund und ihre Augen, ohne sie zu erkennen. Draußen warfen wir uns auf den Boden, in den Schlamm, wie in einem Traum das alles, aber dann riß ein heftiger Atemzug meine Lungen auf, und ich merkte, daß ich die ganze Zeit nicht geatmet hatte. Nun aber füllte eisige Luft meinen Brustkorb, und ich fühlte einen schrecklichen Schmerz dabei, und in diesem Schmerz fiel die vorherige Benommenheit von mir, und ich hörte den Regen, der auf mich niederprasselte. Ich richtete mich auf, sah Vickie, die ihren Kopf weinend im Matsch wälzte. Berna beugte sich über Maxo, der reglos dalag, und redete auf ihn ein, aber Pot stand als einziger aufrecht, fuhr sich über das Gesicht. Es kann nicht viel Zeit vergangen sein, bis auch ich aufstand. Rettung, dachte ich, Rettung, obwohl ich nicht wußte, ob wir davongekommen waren oder ob wir schon tot waren oder wie es um uns stand. Pot rührte sich noch immer nicht, als ich an ihm vorbeiging, auf das Haus zu, er schaute nur um sich und murmelte, aber als ich an der Tür war, begann er zu laufen. Ich wandte mich nach ihm um, wie er auf mich zu preschte, und die Verblüffung war aus seinem Gesicht gewichen. Er rannte ins Haus zurück und über den Flur in die Stube. Ich begriff zunächst nicht, was er dort noch wollte, aber dann wußte ich: Tim. Tim lag noch dort auf der Bank.
Erzählungen, Edition Raetia 2003