Ein Sparkurs
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Vorschlag zur neuen Rechtschreibung
Der Streit um die deutsche Rechtschreibung ist jetzt mittlerweile schon fast so alt wie die Frage, ob Männer und Frauen nun zusammenpassen oder nicht, oder ob es den Klimawandel wirklich gibt oder einfach nur das Wetter verrückt spielt. Und das ist auch verständlich. Die deutsche Rechtschreibung in ihrer althergebrachten Form ist – das wissen wir spätestens seit Pisa – niemandem mehr zuzumuten. Scharfes und gewöhnliches s, stummes h, langes i, groß und klein – nichts als Schikanen, die ein unverkrampftes Schreiben frisch von der Leber weg gründlich vergällen können. Ganz klar: Hier muss klärend und vor allem vereinfachend eingeschritten werden. Gerade dabei aber hakt es. Durch geschicktes Reformieren und Gegenreformieren ist es in den Jahren zwar gelungen, eine dermaßen verwirrende Regelung durchzusetzen, dass mittlerweile jeder so schreiben kann, wie er will (oder zumindest fast), doch wirklich befriedigend kann man das Ergebnis bisher nicht nennen. Zu verzagt, zu halbherzig wurde die notwendige Reform angegangen, der ersehnte Befreiungsschlag ist ausgeblieben. Der Teufel steckt wie so oft in den Detailfragen, die mit einer radikalen Lösung zu klären keiner gewagt hat. So blieb es bei einem undurchschaubaren Gewirr von mehr oder weniger verbindlichen Empfehlungen, Ausnahmen und Doppelschreibungen. Am Ende wurde nur das verstärkt, was von Anfang an des Pudels Kern gewesen war: die Orientierungslosigkeit, die unserer Sprache international das Stigma der Unerlernbarkeit eingebracht hat.
Dabei wäre alles so einfach. Man müsste lediglich dort ansetzen, wo das Problem tatsächlich wurzelt, nämlich bei den Buchstaben. Von denen gibt es einfach viel zu viele. Daher nützt eine Schreibreform am einzelnen Wort nichts, solange die Auswahl an Buchstaben, mit denen dieses Wort geschrieben werden könnte, so groß bleibt wie bisher.
Wer jetzt einwendet, ein Alphabet mit 26 Buchstaben müsse doch zu schaffen sein, der hat nicht richtig nachgezählt. Erstens nämlich gibt es nicht nur die Buchstaben von A bis Z, es gibt dieselben Buchstaben noch einmal in klein! Das sind dann schon 52! Hinzukommen diverse Um- und Zwielaute wie ä, ö, ü, sch, ei, eu, äu, ph, die es jeweils auch wieder in groß gibt, ein „scharfes s“ (ß) und zuletzt noch ein perfides stummes h und ein “ie”! Wenn Sie nachrechnen, werden Sie feststellen, dass die Zahl der Buchstaben auf über 70 ansteigt.
Ist es da noch verwunderlich, dass sich kaum jemand im Gewirr der Möglichkeiten zurechtfindet? Hier muss drastisch eingespart werden, um eine klare und unmissverständliche Schreibung zu gewährleisten und unseren Kindern gegenüber denen in anderen Ländern wie Frankreich oder Großbritannien einen nicht ungewichtigen Vorteil zu schaffen. Wer nämlich jemals den Versuch gemacht hat, Französisch und Englisch nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich zu erlernen, wird bemerkt haben, dass es dort keine einheitliche Regelung für die Schreibung bestimmter Laute gibt: street, heat, head – und mit Französisch fangen wir gar nicht erst an. Ganz zweifelsfrei sind diese Sprachen dem Untergang geweiht.
Dieses bittere Los werden wir dem Deutschen zu ersparen wissen, und zwar im wörtlichen Sinne. Mit dem hier vorliegenden Buchstaben-Einsparungsprogramm nämlich werden wir in kürzester Zeit wieder zu einer der führenden Kulturen der Welt emporsteigen und auch anderen Nationen richtungsweisend voranleuchten.
Wie muss nun also vorgegangen werden?
Der erste Schritt ist selbstverständlich: alle Großbuchstaben weg.
Diese Variante war schon häufig diskutiert worden, und in der Tat hat sie sich zumindest im Email- und SMS-Verkehr und bei manchen Poeten schon durchgesetzt. Das war der richtige Riecher, dadurch wird uns viel Groß- und Kleinschreibungs-Gemurkse erspart. Um jedoch wirklich alle möglichen Unklarheiten auszuräumen, müssen auch die Anfänge der Sätze sowie Eigen- und Ländernamen kleingeschrieben werden, damit dem Großschreibungsunwesen endgültig der Garaus gemacht wird.
Doch damit nicht genug. Wenn nämlich die Vereinfachung der Rechtschreibung ernst genommen werden soll, dann kann das erst der Anfang sein. Immerhin bleiben noch 37 Kleinbuchstaben. Hier kann und muss weiter eingespart werden.
Als Grundlage dafür sollte vom Lautwert der Buchstaben ausgegangen werden, und hier können wir feststellen: Es gibt einige Buchstaben, die tatsächlich keiner braucht. Dazu zählt zweifelsfrei das V. Dieses wird entweder als F oder als W ausgesprochen und stiftet damit nichts als Verwirrung. Weg damit. Man kann Vater und Vorstand genauso gut mit F, Veranda und Video mit W schreiben. Bleiben 36.
Noch einer dieser sinnlosen Buchstaben ist das y. Dieses kann durch ü oder i ersetzt und gestrichen werden. 35.
x. Es mag recht hübsch aussehen, aber hier geht es nicht um ästhetische Fragen. x wird als „ks“ ausgesprochen und sollte demnach auch so geschrieben werden. 34.
Analog werden „z“ problemlos mit „ts“ und „qu“ mit „kw“ ausgetauscht. 32.
Das „J“ hatte noch nie eine wirkliche Daseinsberechtigung und wird unter „i“ subsumiert. 31.
„C“ braucht man alleinstehend kaum. In „Clown“ oder „Clan“ empfiehlt sich eine Schreibung mit „K“. Im „Sch“ kann es nach englischem Vorbild weggelassen werden: Sh. Bei einer ck-Verbindung kann man auf Doppel-K ausweichen: Hekke. Hierfür stehen die Finnen Pate. Zuletzt kann ein „ach“ auch als „ahh“ und eine „Nacht“ als „Nahht“ gehaucht werden. Schließlich hat man das im Deutschen schon einmal so gemacht, wenn auch vor einigen hundert Jahren. (Da sieht man wieder einmal, wie weit wir es mit dem traditionsfeindlichen Fortschritt gebracht haben.) Fremdwörter wie „Chance“ oder „Charme“ sollte man ohnehin an der Aussprache orientiert gestalten; es kann nicht länger angehen, dass uns andere (noch dazu, wie wir festgestellt haben, unterlegene) Kulturen ihre absurden Schreibweisen aufdrängen. Daher: Shans, Sharm. Wer „Shons“ ausspricht, darf das Wort selbstverständlich auch so schreiben. 30.
Das unnötig verkomplizierende stumme h wird ebenso wie „ie“ durch Doppelvokale (Haan, Biine), das ß durch gewöhnliches s ersetzt – schon durch die neue ss-Regelung hatte es nur noch einen mehr oder minder nostalgischen Wert, da die Sprechung des stimmhaften bzw. stimmlosen s von kaum jemandem mehr beherrscht und angewandt wird. 27.
Eu und äu, die schon seit längerem ein Ärgernis sind, da sie gleich ausgesprochen, aber anders geschrieben werden, wobei keine der beiden Schreibungen der tatsächlichen Aussprache entspricht, werden mit „oi“ wiedergegeben. 25.
Ä, ö und ü, die den Deutschsprechenden im Ausland immer wieder zum Gespött gemacht haben, können getrost durch e und i ersetzt werden, da sie ohnehin von vielen so ausgesprochen werden. 22.
Das „Ph“ durch „F“ zu ersetzen ist in der reformierten Reform der Reform noch zu wenig entschieden durchgesetzt worden. Aber jetzt! 21.
Wozu es „T“ und „P“ jeweils auch noch in einer „weichen“ Form gibt (D, B), ist nur schwerlich argumentierbar, immerhin werden auch offenes und geschlossenes e (Ferne, Fete) und o (Onkel, Opa) ganz selbstverständlich jeweils mit demselben Zeichen abgedeckt. Hier können wir uns wieder unserer Wurzeln besinnen, als man noch „Pücher“ auf gut „teutsch“ schrieb.
Zuletzt bleibt nur noch, die zu Verwechslungen führende „ei“-Schreibung zugunsten einer einheitlichen „ai“-Verwendung aufzugeben.
So haben wir nach dieser konsequenten und kompromisslosen Gesundschrumpfung ein Alphabet von überschaubaren 17 Buchstaben erhalten. Freilich, ABC darf es nun nicht mehr heißen, zukünftig werden die Kinder AEF-Schützen sein. Die Umstellung mag zu Beginn etwas schwer fallen, da manche Unverbesserliche tatsächlich meinen, ein Wort müsse mehr sein als nur die rein lautliche Wiedergabe seiner Aussprache. Diejenigen seien aber freundlich nach weiter östlich verwiesen, wo geplagte Kinder hunderte und tausende von Piktogrammen erlernen müssen, bevor sie einen gewöhnlichen Text leidlich zu entziffern vermögen. Auch in jenen Ländern lehnen verbohrte Nostalgiker jegliche Modernisierung ihrer Schrift ab – wenn härtere Tage kommen, wird es sich weisen, ob ein Sprachschatz, der in 17 Buchstaben verpackt ist, sich nicht doch besser halten lässt.
Wer nun aber immer noch glaubt, diese Sparmaßnahmen und die daraus resultierenden Veränderungen seien bedauerlich und bedeuteten eine Verarmung unserer reichen und poetischen Sprache, der möge sich nur vor Augen führen, wie wohltuend und noch immer formschön zwei der berühmtesten Gedichte unserer Literatur in der neuen Schreibung sind:
montnahht
es war als hett ter himmel
tii erte still gekisst
tass sii im plitenshimmer
fon iim nun troimen misst.
...
Und genauso:
erlkenig (oder wahlweise: erlkenihh)
wer raitet so spet durhh nahht unt wint?
es ist ter fater mit sainem kint.
...
Wenn sich Ihre Sehgewohnheiten erst einmal geändert haben, werden Sie feststellen, dass die Urgewalt des Wortes unangetastet bleibt. Zusätzlich erhält der Text im neuen Buchstabengewande eine erdige, nahezu archaische Aura. Für unsere Kinder ein weiterer Ansporn, mit größerem Stolz und Eifer die Sprache ihrer Väter in die Welt hinauszutragen, und für die nicht Deutschsprechenden ein neues Faszinosum, durch welches sie dem Deutschen noch größeren Respekt und tiefere Bewunderung zollen werden.
seen wir tii tsaichen ter tsait unt shauen wir froogemut in aine glorraihhe tsukunft, in ter ieter wiiter unferfelsht unt oone trukk froite am shraipen finten kann!
Nachsatz: Und wenn diese Reform sich erst einmal durchgesetzt hat, ist die Grammatik dran.
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Als Deutschlehrerin (und das war ich immerhin fast fünf Jahre lang) hatte ich es häufig mit sehr kreativen Schreibversionen zu tun, und da hab ich mir manchmal gewünscht, es wäre alles in bisschen einfacher...