Ausflug ins Einkaufsparadies
Ausflug ins Einkaufsparadies
Ausflug ins Einkaufsparadies
Sind auch Sie manchmal mit Ihrem Leben unzufrieden? Haben auch Sie den Eindruck, irgendetwas geht in die falsche Richtung? Das dumpfe Gefühl, dass Ihnen etwas fehlt?
Keine Sorge, bald gibt es Abhilfe. Freuen Sie sich auf die Zukunft der Shopping-Domes!
Immer mehr Menschen stellen sich Fragen. Was soll das alles, was bringt das noch? In vielen Herzen hat sich eine große Leere breitgemacht. Empfinden nicht auch Sie manchmal den seltsamen Schmerz der Nichtigkeit, wenn Sie durch die Straßen gehen?
Endlich ist dieses quälende Phänomen unserer Zeit auch ins Visier der Forschung gerückt. Zwar nur in jenes der Marktforschung, aber Wissenschaft bleib Wissenschaft. Und endlich ist auch klar, was uns fehlt: Abenteuer! Spannung! Abwechslung! Mit einem Wort: Entertainment. Deswegen geht der Trend, wie man jüngsten Nachrichten entnehmen kann, deutlich hin zu dem, was wir uns insgeheim immer gewünscht haben: Erlebnisshopping!
Es geht nicht mehr an, dass der Alltag alltäglich ist – wo kommen wir da hin. In einer Zeit, in der hinter jeder Nachricht ein Knüller, hinter jedem Hamburger eine Philosophie und hinter jeder Damenbinde ein Lebensgefühl steckt, kann der Supermarkt um die Ecke nicht mehr einfach nur Milch und Brötchen verkaufen. Wir wollen daneben auch noch unterhalten werden und die Gewissheit haben, dass wir etwas Sinnstiftendes, Großes für die Welt getan haben, wenn wir mit unseren Einkaufstüten den Laden verlassen.
In der Zukunft des Erlebnisshoppings wird uns all dies geboten. Bereits auf dem gigantischen Parkplatz vor dem fünf Quadratkilometer großen Super-Fun-Shopping-Dome beginnt der Spaß: Nachdem wir unser Auto abgestellt haben, warten wir darauf, dass die lustig klingelnde Fun-Bahn bei unsere Lücke anhält. Wir steigen ein und tuckern bis zum Eingang des Domes, während uns die vollautomatischen Sitze den Rücken massieren. Bevor wir den Dome betreten, werfen wir eine Münze in den einarmigen Wagen-Zuteil-Banditen und wählen den für unsere heutigen Bedürfnisse passenden Einkaufswagen. Gelbe Lämpchen blinken, eine Sirene heult auf, dann rollt er vom Förderband. Wir haben uns nach einigem Überlegen der Kinder zuliebe doch gegen das biodynamische Holzmodell mit integriertem Kalorienzähler entschieden, und nun steht der funkelnde Spaßi mit den bequemen Plüschsitzchen vor uns, der den Kindern während des Einkaufs Witze erzählt. Leider haben wir noch keine Shopping-Dome-Family-Card, mit der wir unser eigenes Wagen-Profil erstellen können, und so ertönt nach jedem Witz eine kleine Werbejingle, aber die Kinder freuen sich und singen sogar mit. Und dann geht es endlich los mit dem Einkaufserlebnis. Zuerst gelangen wir in die Health-Zone (Helff-Souun, die ehemalige Obst- und Gemüseabteilung). Über jeder Fruchtsorte ist eine Großleinwand angebracht. Beim Klicken auf die gewünschte Tomate erscheint ein Dokumentarfilm über ihren Werdegang vom handgezogenen Pflänzchen zur prallen Frucht. Heute interessiert uns das aber nicht, wir flanieren lieber durch den folkloristischen Tropenmarkt, für den eigens waschechte Bolivianer eingeflogen wurden, die nun lauthals ihre Produkte anbieten. Wir schießen mit Spaßis Bordkamera ein paar Erinnerungsfotos und begeben uns weiter zum überfüllten Panem-et-circenses-Zelt, wo zwei koreanische Schnellbäcker ihren Rekord im Brezelbiegen zu brechen versuchen. Dann geht es weiter zu „Meet your Meat“, einem Streichelzoo mit niedlichen Kälbern, Ferkeln und Ponys, von denen wir unsere Kinder fast nicht mehr losreißen können. Zum Glück aber lockt uns die Non-Stop-Veranstaltung „Stars in der Milchstraße“ zur Kühlabteilung, wo wir den Lifeauftritt von Anna Netrebko, in einem überdimensionalen Joghurtbecher badend, erleben. Noch ist ihre Arie „Vissi di latte“ kaum verklungen, da zieht es uns schon zum nächsten kulturellen Höhepunkt: Zwischen kunstvoll aufgetürmten Tiefkühlprodukt-Bergen stellt Reinhold Messner sein neues Buch „Mein Weg durch das ewige Eis“ vor. Wir unsererseits bringen das ewige Eis gleich hinter uns und verzichten sogar auf die Sushi-Life-Show. Spaßi hat über eine Online-Anfrage bei unserer Bank festgestellt, dass jeder weitere Einkauf unseren Kreditrahmen sprengen würde. Also fährt er uns zielstrebig voraus zur Kasse und hält nicht einmal im Fruchtgummi-Dschungel zu einem kleinen Schlemmer-Stopp. Etwas enttäuscht über dieses abrupte Ende unserer Shopping-Tour schreiten wir unter den wallenden Cash-Gates von Christo hindurch zum Ausgang. Angesichts der Umstände erscheinen uns die winkenden Seidentücher wie davonflatternde Geldscheine. Spaßi bringt uns auf andere Gedanken. Er teilt uns freundlich mit, dass der geschuldete Betrag bereits von unserem Konto abgebucht worden sei und fragt uns nach unserem Wohlfühl-Level. Wir wollen keine Spielverderber sein und geben dem Shopping-Dome trotz allem 9 von 10 Punkten, woraufhin Spaßi vor Freude mit den Kindern eine Extra-Runde durch die Bonbon-Mile fährt. Zuletzt kriegt jeder noch ein Feel-Good-Paket für die Fahrt in der Fun-Bahn. Etwas erschöpft steigen wir ein. Die Rückenmassage ist jetzt richtig wohltuend. Als wir beim Auto ankommen, hat Spaßi bereits den Kofferraum mit unseren Tüten beladen. Er wünscht uns eine gute Reise und wir fahren los. „Das hat wirklich Spaß gemacht“, kräht die Jüngste vom Rücksitz. Wir nicken zustimmend. Ein toller Tag. Erst, als wir an einer roten Ampel stehen, kommt mir mit einem Mal ein seltsamer Gedanke. Etwas irritiert beuge ich mich zu meinem Mann hinüber. „Du“, flüstere ich ihm zu, „was haben wir eigentlich eingekauft?“
Satire