Mahlzeit nach der Wahlzeit
Mahlzeit nach der Wahlzeit
Mahlzeit nach der Wahlzeit
Personen:
Ruth Gamper, Moderatorin
Alois Speckbaucher von der PSP (Populäre Südtiroler Partei)
Siegrun Stotzer von der PF (Populistische Front)
Erika Zopfgartner von der HOH (Heimat ohne Hintergrund)
Andrè Plerrhofer von der DBD (Deutsch bleibt Deutsch)
Kasper Grünkerniger von der HA (Homöopathische Alternative)
Gabriella Tutticolori von PSS (Popolo Senza Scampo)
Nicoló Moccassini von DMP (Democratici Ma Perché)
Enzo Duci von CT (Cuore Tricolore)
Anna Lena Paparazzi von UPS (Unione Per il Settentrione)
Fernsehstudio. Um eine lange Tafel sitzen die Gäste, in deren Mitte die adrette Moderatorin Ruth Gamper.
Ruth Gamper:
Guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren, Ruth Gamper sagt herzlich willkommen zur Sendung ‚Mahlzeit nach der Wahlzeit’. Es ist uns gelungen, alle Listenführer der neu in den Landtag gewählten Parteien um einen Tisch zu versammeln. Ich begrüße in der Runde Alois Speckbaucher von der Populären Südtiroler Partei, Siegrun Stotzer von der Populistischen Front, daneben Erika Zopfgartner von der Heimat Ohne Hintergrund. Auf der anderen Seite sehen wir Andrè Plerrhofer von der Deutsch Bleibt Deutsch und Kasper Grünkerniger von der Homöopathischen Alternative. Daneben haben Nicoló Moccassini von den Democratici Ma Perchè, Gabriella Tutticolori von Popolo Senza Scampo, Enzo Duci vom Cuore Tricolore und Anna Lena Paparazzi von der Unione Per il Settentrione Platz genommen. In der folgenden Stunde werden wir bei einem gemeinsamen Abendessen entspannt Rückblicke und Ausblicke austauschen. Das Essen ist serviert, der reine Wein eingeschenkt, starten wir also gleich mit der ersten Frage an Alois Speckbaucher: Die Populäre Südtiroler Partei hat ja bei diesen Wahlen starke Einbußen hinnehmen müssen. Wie sehen Sie das?
Alois Speckbaucher:
Also zuerst einmal möchte ich sagen, wenn wir heute hier an diesem Tisch sitzen und ein so reichhaltiges Essen genießen können, dann liegt das vor allem an den Verdiensten der PSP in den letzten sechzig Jahren. Schauen Sie, wo käme denn all unser schöner Speck her, wenn wir uns nicht immer schon dafür eingesetzt hätten, dass die größten Schweine an den vollsten Futtertrögen stehen?
Ruth Gamper:
Ja. Kommen wir zurück zur Frage. Herr Speckbaucher, Sie haben einen deutlichen Stimmenverlust erlitten. Worauf führen Sie das zurück?
Alois Speckbaucher:
Von einem Stimmenverlust habe ich nichts bemerkt, und eins kann ich Ihnen sagen: Mein sonorer Bass wird auch in Zukunft im Land den Ton angeben.
Ruth Gamper:
Aber die Zustimmung zu Ihrer Partei hat doch sichtbar abgenommen.
Alois Speckbaucher:
Wir haben überhaupt nicht abgenommen, wenn man das damit vergleicht, wie wir früher schon einmal dagestanden sind. Also zum Beispiel in den sechziger Jahren, da haben uns doch viel weniger Wähler gewählt.
Ruth Gamper:
Damals hatte das Land auch noch nicht so viele Einwohner wie heute.
Alois Speckbaucher:
An den nackten Zahlen kann man nicht heruminterpretieren. Da muss doch jeder ganz klar feststellen, dass wir heute stark zugenommen haben.
Ruth Gamper:
Danke, Herr Speckbaucher. Kommen wir zu einer großen Siegerin der Wahlen, zur Populistischen Front. Frau Stotzer, wie ist Ihr Traumergebnis zustande gekommen?
Siegrun Stotzer:
Dazu kann ich nur eines sagen: Frechheit siegt.
Ruth Gamper:
Man hat Ihrer Partei ja immer wieder vorgeworfen, mit Hetzkampagnen Ängste zu schüren. Wie sehen Sie das?
Siegrun Stotzer:
Dieser Vorwurf kommt ausgerechnet von denen, die unsere Themen erst in letzter Sekunde für sich entdeckt haben. Wir hingegen haben schon seit Jahren immer dasselbe gesagt. Jetzt hat unsere Botschaft endlich auch den Wähler erreicht, und das bedeutet: Unser Wähler ist endlich volljährig, pardon, mündig geworden.
Ruth Gamper:
Aber man hat Ihnen doch auch Unsachlichkeit und starke Vereinfachung vorgeworfen.
Siegrun Stotzer:
Wir haben uns immer an die Fakten gehalten, wir waren höchstens manchmal unserer Zeit visionär voraus. Aber Tatsache ist: Südtirol gehört uns, das haben gerade diese Wahlen eindrucksvoll bewiesen.
Ruth Gamper:
Sie haben in Ihrem Wahlkampf ja auch Wahlgeschenke verteilt, unter anderem Kondome. Was war Ihre Botschaft dabei?
Siegrun Stotzer:
Gut, dass Sie fragen, das ist vielfach missverstanden worden. Die Kondome waren natürlich nicht für die Einheimischen gedacht, sondern als konkrete Maßnahme unserer neuen Einwanderungspolitik. Zwangssterilisation kann ja dann erst in einem zweiten Schritt erfolgen.
Ruth Gamper:
Neben Ihnen strahlt Erika Zopfgartner von der Heimat Ohne Hintergrund. Frau Zopfgartner, Sie sehen zufrieden aus.
Erika Zopfgartner:
Das bin ich durchaus. Unsere Partei hat bewiesen, dass der Trend mancher Parteien, alte Zöpfe abzuschneiden, nicht im Sinne der Wähler ist. Wir jedenfalls haben mit unserem alten Zopf sehr gut gepunktet.
Ruth Gamper:
Das war nun eine Spitze in Richtung Andrè Plerrhofer. Herr Plerrhofer, Sie dürfen sich danach äußern, aber bleiben wir noch kurz bei der Heimat Ohne Hintergrund. Frau Zopfgartner, von null auf zwei Sitze, welchen Wählerauftrag leiten Sie davon ab?
Erika Zopfgartner:
Wir werden beweisen, dass auch zwei kleine Lichter einen großen Brand entfachen können.
Ruth Gamper:
Kommen wir nun zu Andrè Plerrhofer von der Deutsch Bleibt Deutsch. Ihre Partei hat doch eher enttäuschend abgeschnitten.
André Plerrhofer:
Dafür gibt es mehrere Gründe. Wir waren erstens wohl eher die laue als die laute Mitte, und zweitens waren unsere Aussagen vielleicht auch missverständlich. ‚Allein gegen die Mafia’ war durchaus nicht als Wunsch gedacht.
Ruth Gamper:
Ungewohnt selbstkritische Töne, die Sie da anschlagen. Wie geht es jetzt weiter?
André Plerrhofer:
Wir müssen nach wie vor klipp und klar für unsere Ziele ein- und unsere Gegner in den Hintern treten.
Ruth Gamper:
Was bedeutet das konkret?
André Plerrhofer:
Wir haben immer gezeigt, dass wir keine Berührungsängste mit braunem Dreck haben. Unser Auftrag bleibt die Windel, bleibt das Plumpsklo.
Ruth Gamper:
Das führt mich direkt zu meinem nächsten Gesprächspartner: Herr Grünkerniger, Kompost und Recycling waren sonst immer eher die Hoheitsgebiete der Homöopathischen Alternative. Diesmal aber sind Sie vom Wähler arg abgestraft worden. Wo hat es gefehlt?
Kasper Grünkerniger:
Dafür gibt es vielfältige Gründe, die man nicht einfach auf einen Nenner bringen kann. Zunächst einmal muss man vorausschicken, dass schon seit Immanuel Kant die Frage der Mündigkeit eine hochbrisante war, die von großen Denkern wie Schopenhauer, Hahnemann, Freud, Hannah Arendt, Karl Jaspers, Claude Chabrol, Waldemar Bonsels, dem Dalai Lama und Pfarrer Weidinger, um nur einige wenige zu nennen, hochkontrovers und nach unterschiedlichsten Gesichtspunkten diskutiert worden ist, ohne letztgültige Ergebnisse zu zeitigen. Als conditio sine qua non hat sich eine Mündigkeitsbescheinigung für die Wahlen leider nie wirklich durchsetzen können, und auch unser Ansatz, dem Wähler über ausgesuchte Zitate eine erlesene Bücherliste ans Herz zu legen, ehe er sich in die Wahlkabine begibt, hat offenbar wenig gefruchtet. Letztlich wird es wohl darauf hinauslaufen, dass wir das nächste Mal unsere Wahlbroschüre um ein vierbändiges Kompendium ergänzen müssen, in welchem wir mit Akribie die Geschichte der Birkenstocksandale in Europa im Allgemeinen, in Südtirol im Besonderen nachzeichnen, zusätzlich eine finnische Studie über die Mehrsprachigkeit der Meerschweinchen beilegen und das in seiner minimalistischen Tradition von Art Brut und Dada maßgeblich geprägte ästhetische Konzept unserer Plakate en detail erläutern.
Ruth Gamper:
Sie haben ja wieder einmal einen äußerst sparsamen Wahlkampf geführt.
Kasper Grünkerniger:
Das ist ganz klar auf unsere Linie. Wir glauben an die Homöopathie in allen Belangen, aber wir haben auch immer wieder darauf hingewiesen, dass wir nicht nur eine homöopathische, sondern auch eine sympathische Alternative mit viel Sinn für Humor sind.
Ruth Gamper:
Heißt das, Sie nehmen die Wahlen nicht ernst?
Kasper Grünkerniger:
Doch, wir nehmen die Wahlen sehr ernst. Wir halten es nur mit Papst Johannes dem Dreiundzwanzigsten, der da gesagt hat: ‚Nimm dich nicht so wichtig.’ Leider haben das die Wähler dann auch getan.
Ruth Gamper:
Kommen wir zu den italienischen Parteien. Frau Tutticolori vom Popolo Senza Scampo, ein Wahlsieg sieht anders aus.
Gabriella Tutticolori:
Quando tutto sembra perduto, é il momento di crederci di piú.
Ruth Gamper:
Ja, dieser Slogan ist uns bekannt. Was haben Sie den Wählern darüber hinaus noch mitzuteilen?
Gabriella Tutticolori erhebt nach dem Vorbild ihres Parteichefs einen Finger.
Ruth Gamper:
Danke für diese Stellungnahme, Gabriella Tutticolori. Herr Moccassini, die Democratici Ma Perché haben zwei Sitze errungen. Sind Sie damit zufrieden?
Nicoló Moccassini:
Wir sind sehr zufrieden.
Ruth Gamper:
Und wenn Sie nur einen Sitz errungen hätten?
Nicoló Moccassini:
Wir wären trotzdem zufrieden.
Ruth Gamper:
Aber mit einem Sitz mehr wären Sie doch noch zufriedener gewesen?
Nicoló Moccassini:
Wir wären auch zufrieden. Aber nicht zufriedener. Wir sind jetzt schon sehr zufrieden.
Ruth Gamper:
Die Democratici Ma Perché sind also zufrieden. Herr Duci, wie steht es mit Ihnen? Das Cuore Tricolore hat ja nur ein sehr mageres Ergebnis erreicht.
Enzo Duci:
Io posso guardare chiunque negli occhi.
Ruth Gamper:
Aber es haben offenbar auch viele Italiener die Populäre Südtiroler Partei gewählt. Was schließen Sie daraus?
Enzo Duci:
Non è sempre facile, ma comunque sempre necessario essere fieri di essere italiani.
Ruth Gamper:
Und damit komme ich gleich zu meiner nächsten Gesprächspartnerin: Frau Paparazzi, Sie stehen ja für die Gemischtsprachigen in Südtirol. Wie sehen Sie Ihr Wahlergebnis?
Anna Lena Paparazzi:
Mit gemischten Gefühlen.
Ruth Gamper:
Sie sind ja mit großem Appetit gekommen, Sie haben gleich drei Teller Pasta für sich allein bestellt.
Anna Lena Paparazzi:
Das ist wieder einmal ein typischer Beweis für die fehlende Zweisprachigkeit hier im Land. Ich habe nur dreimal ‚Basta’ gesagt.
Ruth Gamper:
Das ist schon das Stichwort für die zweite Runde. Was haben unsere Politiker denn so auf dem Teller liegen? Herr Speckbaucher?
Alois Speckbaucher:
Ja, natürlich habe ich mich für ein Herrengröstl mit Südtiroler Markenspeck entschieden, dazu ein schönes Glas Lagrein, und danach gibt es noch einen saftigen Apfelstrudel. Alles Gründe, stolz auf Südtirol zu sein.
Ruth Gamper:
Frau Stotzer?
Siegrun Stotzer:
Ich habe ganz gegen meine sonstige Einstellung ‚Einheimische zuerst’ ein deftiges Zigeunerschnitzel genommen.
Ruth Gamper:
Frau Zopfgartner?
Erika Zopfgartner:
Also, ich bin mir nicht ganz sicher, ob mein Tiroler Pfandl hier schon ganz koscher, will sagen, selbstbestimmt ist. Da wird doch nicht italienischer Parmaschinken drin sein?!
Ruth Gamper:
Herr Plerrhofer?
André Plerrhofer:
Mit meiner Leberwurst ist auch irgendwas nicht in Ordnung. Mir stinkt’s jedenfalls.
Ruth Gamper:
Und was essen Sie da, Herr Grünkerniger?
Kasper Grünkerniger:
Da man ja nie weiß, was man hier aufgetischt bekommt, habe ich mir mein Essen selbst mitgebracht, und zwar ist das einmal eine biologisch und nachhaltig angebaute Kirschtomate mit Fair-Trade-Zertifikat, angerichtet mit einem Tropfen Slow-Food-Apfelessig. Dazu gibt es Gebirgsquellwasser, das ich heute Morgen in einer mehrstündigen Wanderung selbst von der Glomer Alm mitgebracht habe, ehe ich mich auf den Sattel geschwungen habe, um zu Ihrem Studio zu radeln.
Ruth Gamper:
Sehr löblich, Herr Grünkerniger. Frau Tutticolori, was haben Sie sich ausgesucht?
Gabriella Tutticolori:
Ho scelto una pizza diavola, ma potrebbe ben essere ancora un po’ piú piccante.
Ruth Gamper:
Und Sie, Herr Moccassini?
Nicoló Moccassini:
Ich trinke nur eine Tasse Kamillentee.
Ruth Gamper:
Herr Duci ist schon beim Dessert angelangt.
Enzo Duci:
Il mio dolce preferito: il tiramisú.
Ruth Gamper:
Und die drei Teller Basta-Pasta von Frau Paparazzi haben wir ja schon gesehen. Damit sind wir am Ende unsere Sendung angelangt. Ich bedanke mich bei meinen Gesprächspartnern hier im Studio und bei Ihnen zu Hause und wünsche Ihnen allen noch eine gute Mahlzeit nach der Wahlzeit!
ein satirisches Dramolett anlässlich der Wahl zum Südtiroler Landtag 2008
veröffentlicht in der Südtiroler Tageszeitung am 30.10.2008
Die untenstehende Satire ist 2008 entstanden. Im Rückblick trägt sie zum Teil prophetische Züge.